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[2005]

Ab|horrem|zieren

So, da saßen wir nun also in der Bimmelbahn nach Aachen, der ollen Kaiserstadt, in der Karl le Grand, oder auch Charles Allemagne, wie der Franzose ihn nennt, 814 zum letzten Mal das Wurstwasser aus den dortigen Quellen trank und sich ein lecker Pflaumenmusbütterken schmierte. Naja, schmieren ließ.
Das Fahrradabteil teilten wir uns mit einer Horde halbstarker Radwandervögel, in Begleitung zweier Pädagogen. Der eine der Pädagogen war, wohl zufällig, nach der neuesten Mode gekleidet! Er trug nämlich einen Vollbart! Den hatte er aber bestimmt schon lange, bevor so ein Gesichtsschmuck hip wurde. Pädagoge NOS*, quasi.

*NOS bedeutet in diesem Fall wahlweise "Never Out of Stock" oder "New Old Stock". Lachgas hingegen scheidet aus...

Kurz hinter Köln erfuhren wir dann, daß der Bimmelbahn in Horrem die Kohlen ausgehen würden.
Das sei lange schon so geplant gewesen und die Deutsche Bundesbahn hätte das auch auf allen Kanälen kund und zu wissen getan.
Tja, leider nicht über CB-Funk!
Bevor sich jetzt hier einige Neunmalkluge mit dem erhobenen Zeigefinger aus dem kissenbewehrten Fenster lehnen und den gutgemeinten Kommentar äußern oder – schlimmer – gar denken mögen: „Na, da hätte man sich ja im Vorfeld mal informieren können...nänänänä“
Dem rufe ich entgegen:
„Was schlau machen? Aufpassen!“
Natürlich könnte ich jetzt hier aus dem Gedächtnisprotokoll rezitieren und ALLE zur fraglichen Zeit vorhandenen baulichen Tätigkeiten und den damit verbundenen Unbequemlichkeiten im Reiseverkehr der Deutschen Bundesbahn nicht nur stehenden Fußes, sondern dazu auch noch stante pede, aufzählen. Allein, es wäre sehr langweilig.
Einzig die Anmerkung im Kleingedruckten des Sonderfahrplans: „Nur bis Horrem bekohlt“, die ist mir wohl entglitten. Bestimmt war da auch überhaupt gar kein Hinweis gewesen. So.
Zumindest nicht über CB-Funk.

Von Horrem sollte dann der Ersatzverkehr (kicher) stattfinden. Mit dem Bus. Bis Düren.
Leider hatte der Bus keinen Platz für Fahrräder.
„Was für ein Stück des Glücks, daß wir keinen Kinderwagen mitführen!“
So freudig ausrufend, lagen wir uns mit den Tränen der Rührung in den Armen. So konnten wir wenigstens mit dem Rad die 30 Kilometer bis Düren überbrücken. Ob die junge Frau mit Kinderwagen und diversen Kindern unterschiedlichen Alters ein Taxi genommen hat – ich weiß es nicht.
Wir hatten allerdings vor unserer weiteren Reise, welche ja nun die erste Radetappe werden sollte, ein klitzekleines Problem zu lösen, welches sich in zwei Komponenten gliederte.
a) Wo zur Hölle liegt Horrem?
b) Wie kommt man nach Düren?
Umgehend befragten wir einen Droschkenkutscher der hiesigen Taxizentrale, der lässig an sein Taxi gelehnt, auf solche Fragesteller wie uns nur zu warten schien.
Er hatte kaum zur Wegbeschreibung angehoben, da kam leider schon ein weiterer, gerade beschäftigungsloser, Chauffeur dazu und ergänzte die Erläuterungen des Ersteren um seinen Senf.
Das verunsicherte den Ersten natürlich und die Beschreibung des Weges wurde recht konfus und zusammenhanglos.
Wir bedankten uns fein artig und fragten nach 50 Metern eine Passantin.
Die kannte den Weg aber nur über die Autobahn und wünschte uns viel Glück.
Tja. Aufs Geratewohl sind wir dann mal los. Geholfen haben bei der wirren Navigation schlußendlich teils bemooste, teils völlig zugewucherte Wegweiser. Stellenweise war die Strecke und die sie begleitende Gegend recht nett anzuschauen. Wenn mal nicht der Gegenwind gewesen wäre. Dennoch, schön, daß mal gesehen zu haben, bevor dann der Bagger aus Hambach...
Ich will die geneigten Leser auch gar nicht weiter mit nicht ganz ungefährlichen Passagen über die Landstraßen langweiligen. Nur noch soviel:
In Düren, kurz vor dem Bahnhof, ertönte von meinem Hinterrad ein „Flapp-flapp-flapp“.
Juchu! Ein Platten! Mein Erster, seit 2012!
Ein Jammer, daß ich das teamgeiststärkende Seminar für Führungskräfte „Fahrradflicken“ seinerzeit aus anderen Gründen versäumt hatte. Was hätte man da auch lernen sollen? Ich meine, „Teamgeist“ und „Führungskräfte“, das ist doch paradox!
Gottlob konnte mir der kreuzbube helfen. Ohne ihn säße ich bestimmt noch immer in Düren, mutterseelenalleine auf einem Kilometerstein, das Gesicht in den Händen vergraben, ohne Wasser, weil ich vor dem Umdrehen des Fahrrades zwecks Ausbau des Hinterrades vergaß, die Pulle aus dem Halter zu nehmen...
Nach erfolgreicher Schlauchwechselung erreichten wir dann doch noch irgendwann den Dürener Bahnhof, bestiegen einen Schienenbus, fuhren bis Aachen Hauptbahnhof, und stiegen aus.
An der dortigen Radstation erstand ich einen neuen Schlauch und presste mittels Kompressor noch etwas mehr Luft in den hinteren Pneu. Ich hinterließ den wirklich freundlichen und zuvorkommenden Kollegen ein kleines Trinkgeld und endlich, endlich, endlich, mit lächerlichen 4 Stunden Verspätung, startete unsere eigentliche Radtour nach Westen! Oder den Tod!

Halt!
Am Aachener Hauptbahnhof kamen wir noch in den Genuss einer Vorführung allererster Güte.
Ein Kleinkünstler, der in ausgefeilter Maske einen sozialkritischen Monolog darbot.
Auf einem Teppich befand sich das Genie teils im Schneidersitz sitzend, dann stehend, dann um den Teppich herum schlendernd, bald darauf liegend, knieend und alles und so.
Der Monolog selbst war eine Variation des „Hauptmann-von-Köpenick-Themas“. Weniger Nähe zu Rühmann denn zu Juhnke – wenn sie wissen, was ich meine *zwinker
Nach einer Viertelstunde war der Monolog beendet und der Künstler fing sofort – ohne Pause – wieder von vorne an. Bravo! Da Capo!

Aber dann galt es wirklich:
Nach Westen! Oder den Tod!

wordt vervolgd...




Immerhin seid Ihr im richtigen Horrem ausgestiegen und nicht im gleichnamigen Dormagener Stadtteil, der Euch eurem Ziel nicht sonderlich näher gebracht hätte.

Mich als Zugereisten verwirrt das hier eh ohne Ende, dass es im 50-Kilometer-Radius mindestens 4x "Vorst" gibt, ebenso oft "Pesch" und diverse Male "Rath" und "Broich" (Komposita, die auf -rath und - broich enden, nicht mit eingerechnet).

Jupp, die kommen hier recht häufig vor. Broich (Broooooch gesprochen) heißt soviel wie Sumpf und Rath ist die Rodung.
Das kommt hier in der Tat ähnlich häufig vor, wie jenseits des Mains das "-ingen".

Jaja, ich weiß (habe ja auch paar Semester Germanistik abgesessen). Wobei der Unterschied ist, dass es im Schwäbischen meines Wissens keine Ortschaft namens Ingen gibt. ;-)

Nee, Inge gibbet nur mit Ehemann.
Balingen, Metzingen, Böblingen, Esslingen, Kreuzlingen, Dillingen, Memmingen, Nördlingen, Wertingen, Bächingen, Geislingen, Tübingen, Burladingen... ach, es nimmt kein Ende ;o)

Ich möchte aber auch nicht verhehlen, daß Orte wie Broekhuysen, Schaephuysen, Rheurdt und Vluyn auch für die (süd-) niederrheinische Zunge mitunter starker Tobak sein können...quasi.

Ah, geht Ihnen auch so? Wenn ich mich diesbezüglich mal selber zitieren darf:
Wobei es mich jenseits von Krefeld ja nach wie vor überrascht, die Leute Deutsch sprechen zu hören, wenn ich Ortsnamen wie Kevelaer, Vluyn oder Aldekerk lese (die in meinen süddeutsch sozialisierten Ohren klanglich schon sehr auf Holzpantinen daherklappern).
;-)

Ha! Holzpantinen ("Klompen"). Die waren ja hier bis zur Mitte der 1960er Jahre im Rahmen der Arbeitssicherheit erste Wahl.
Auch heute noch werden die gerne im Garten getragen.

Meine Herren! Was da alles los war! Die Hälfte ist wirklich weg, ungelogen.

Und bis dahin waren wir ja noch nicht mal richtig unterwegs (gewesen)...
Einige Details fielen mir übrigens auch erst wieder nach ein paar Tagen ein. Halle indes, werde ich wohl nie mehr vergessen... so hübsch...der Bahnhof...

Sollte bestimmt mal eine gigantische Bunkeranlage werden. Da hätte die Deutschen aber ganz schön weit drum herum fahren müssen!

Ich werde dazu noch was schreiben. Das mit dem Beton hat ja Tradition dort. Wenn man nur an die Wasserspeicher in wallonisch-Brabant oder die Straßen denkt...

Das ist alles Beschiss! Belgien gibt's erst seit 1830. Also kann's da auch keine älteren Städte geben.

Die Belgae gibt es doch bereits seit Römers Zeiten.
Die haben im Laufe der Zeit natürlich öfter die Despoten gewechselt.
Darum heißt es ja auch im Deutschen: "Wechselbälger"...