(c) - POP SKURRILIST - Feine Qualitätskunst seit 2007
Dienstag, 20. Mai 2014
Erps-Kwerps

(c) pop skurrilist
[2009]

So, wo war ich? Ach ja, in Brügge.
Das erkannte ich anhand der Deckenbeleuchtung unserer Schlafstatt am nächsten Morgen. Froh, daß ich nicht von Vampiren gebissen oder vom Belfried gesprungen war, weil ich ja nun fliegen konnte, wie mir die Halluzinationen versprochen hatten...

Frühstück. Mit schmierfähigem Spekulatius für aufs Brot. Und dann noch der leckere Honigkuchen.
Davon hab ich mir heimlich gleich zwei Stück unters Hemd geklemmt.
Wir mussten nämlich noch ein ganz schönes Stück Rad fahren. Und da ist so ein kleiner Snack zwischendurch hilfreich, um dem Mann mit dem Hammer zu entgehen.
Gefürchtet hatte ich den Mann eigentlich nicht. Da war auf dem Hinweg ja der permanente Gegenwind gewesen. Der würde uns nun als Rückenwind nach Hause tragen und dann war geplant, den schönen Weg längs des Kanals ohne Steigung entlang zu fahren.

Im Schmierspekulatius oder der Marmelade des kreuzbuben muss dann aber was drin gewesen sein.
Der kreuzbube hatte ja diesen Schnupfen gehabt und führte das große Belastungs-EKG mit sich herum, während ich in meinem 300 Liter Rucksack die Paddles mitführte, für alle Fälle.
Untröstlich war der kreuzbube am Vorabend, weil es vernünftiger wäre, die Ardennen auf der Rückfahrt auszulassen und die Kanalroute zu wählen.
Davon war dann nach dem Frühstück keine Rede mehr.
Schulterzuckend beantwortete ich wortlos die Annoncierung der neuen Route und steckte mir noch einen Honigkuchen ein.

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An einer öffentlichen Luftpumpe am Genter Tor haben wir dann noch schnell den in Leuven besorgten und seitdem rücklings mitgeschleppten Vollgummireifen aufgezogen.

Bis Gent ging es dann mit der Bahn weiter.
In gewohnter Manier haben wir uns dann dort erst einmal wieder verfahren.
Ein belgischer Radler fragte uns, wohin wir denn wollten und dann meinte er, er würde uns freies Geleit aus der Stadt gewähren. Dann hat er uns in einen dunklen Hinterhof geführt und uns kalt gemacht bis an den Stadtrand geleitet und erklärt, daß wir nur den Kanal entlang fahren müssten. Aber darauf achten sollten, den Kanal immer zur linken Hand sehen zu können.

Naja, und dann sind wir los. Nach wenigen Metern fiel uns dann was Ulkiges auf:
Gegenwind...

So eine verf*** Sch***, da hatte über Nacht der Wind gedreht!
Die Strecke selber war schnurgerade und eben und da haben wir aus der Not eine Tugend gemacht und ordentlich Radfahren in der Gruppe geübt. Vorderrad seitlich ans Hinterrad des Vordermanns geklebt und belgisch gekreiselt. Zwei Minuten durfte jeder mal vorne fahren, dann wurde gewechselt.
Das ging so gut, daß wir viel schneller (wir mussten ja auch nicht anhalten und gucken, wo denn nun der richtige Weg sei) als gedacht unser erstes Etappenziel erreichten.

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Oudenaarde.

Das ist so ein kleines Dorfstädtchen, wo es ein Museum mit Museumscafé gab. Das war proppevoll gewesen, das Café. Da war nämlich eine Vorberichtsübertragung eines Fußballspie...äh...eines Radrennens. Und alle Gäste haben nicht auf ihre Speisen sondern auf den Bildschirm geguckt.
Vor dem Café stand ein Gebrauchtwagen aus den 1970er Jahren in orangsch.
Während der kreuzbube in das Museum hinein ist, um im Museumsshop zu stöbern, hab ich aus Langeweile, ganz nostalgisch, dem Auto die Antenne abgeknickt und die Scheibenwischer umgedreht.
Der Authentizität wegen.

Nach einem Reistörtchen im Café sind wir dann weiter in die nähere Gegend.

Und nach wenigen Kreuzungen der Feldwege standen wir am Fuß eines kopfsteingepflasterten Hügels.

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Der berühmte Koppenberg wars gewesen. Rechts sieht der geneigte Leser meinen kompakten Rucksack (mit den Paddles)

Der Hügel ist berühmt, weil da manchmal, zur Belustigung der beiden Bewohner des dazugehörigen Bauernhofes, Kirmesrennen veranstaltet werden. Für den Rest des Jahres ärgern sich die Bewohner, weil sie mit ihren Autos immer sehr langsam hinter den dort hochkeuchenden Frezeitradlern hinterher schleichen und einen Gang herunter schalten müssen.
Ich will ehrlich sein: ich bin da nicht hoch gekommen!

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Der kreuzbube schon. Sauber!

Und andere Radfahrer auch.

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Da haben wir die strampelnden Recken ausgelacht und „Das kannst Du nicht, das schaffst Du nicht, lass das sein!“ gerufen. Hat aber nix genutzt.

Meine Herren! Ich sag mal so: Mit einem BMX-Rad wäre es mir vielleicht gelungen. Das Kopfsteinpflaster dort, das ist ja wie Treppen herauf fahren. Was für eine Plackerei.
Völlig aus der Puste, die Paddles schon an der Brust, hab ich dann später auch die Kuppe erreicht.
Die Abfahrt war dann leichter. Das ging ohne Treten...

und dann ging es wieder rauf...
...und wieder runter...
...und wieder rauf...
etc.

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ab und zu haben wir mal auf die Karte geguckt.

Wäre aber nicht nötig gewesen. Man musste ja nur gegen den Wind fahren.
Und dann ging es wieder rauf...
...und wieder runter...
...und wieder rauf...
etc.

Das folgende Etappenziel war dann die Wand.
Mittelhochdeutsch, welches die Landessprache dort ist, sagt man: „Muur“ (gesprochen: „Mühr“)
Da war ich dann, nach dem Desaster vom Koppenberg, aber sowas von motiviert!
Der kreuzbube war ja schon auf und davon, während ich noch mental an mir gearbeitet habe.
Und schwupps,

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war ich auf dem Hügel mit der Kapelle.

Dort fiel mir dann ein, daß ich ja noch die Honigkuchen unter meinem Hemd hatte. Schön weichgeschwitzt. Da hab ich dann tüchtig zugelangt.
Eine Reisegruppe, die mit dem Bus angereist war, beobachtete mich dabei und der Führer, also, der Reiseführer sagte: „Da stärkt sich einer, der gerade die Muur bezwungen hat!“
Das war schöner, als ein Stempel in der Wertungskarte oder ein Wappen, welches man an den Spazierstock nagelt.
Die Kapelle ist übrigens wirklich sehenswert. Wenn der geneigte Leser wissen möchte, was es dort zu sehen gibt, tja, da kann er mal gefälligst selbst dort hoch...

Ein Blick auf die Uhr rief uns dann zur Eile.
Mit beiden Händen an den Bremshebeln ging es nun hinab zu einem Café, wo man auch was zu essen bekam. Der Sinn stand allerdings nicht bei Fritten mit irgendwas. Wir wählten Nudeln.
Ohne Fritten! Das haben wir aber zur Sicherheit extra betont.
Vielleicht hatte die Marketenderin Mitleid mit uns, vielleicht hatte sie auch vom Frittenschmied aus Brügge einen Hinweis erhalten, ich weiß es nicht. Jedenfalls standen nun vor dem kreuzbuben und mir jeweils 500 g Nudeln, verborgen unter 500 ml Fleischsoße, in einer Salatschüssel.
Das war für mich der zweite Koppenberg an diesem Tage – ich hab nicht aufgegessen!
Und das war auch gut so! Denn als wir uns anschauten, wie der weitere Verlauf der Tour werden würde, da stellten wir jauchzend fest, daß wir über diese Landschaftsblase nochmals hinüber mussten. Verdorrie...

Mit halbgeschlossenen Augen fuhr ich dann weiter.

und dann ging es wieder rauf...
...und wieder runter...
...und wieder rauf...
etc.

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ab und zu haben wir mal auf die Karte geguckt.

Wäre aber nicht nötig gewesen. Man musste ja nur gegen den Wind fahren.
Und dann ging es wieder rauf...
...und wieder runter...
...und wieder rauf...
etc.
Unter anderem kamen wir auch ein Stück durch Wallonisch-Brabant. Das sind dort wahre Künstler mit dem Schalbrett und der Betonmischmaschine.
Leider habe ich davon keine Fotos machen können, aus Angst, meine Kamera wäre betoniert worden.
Als es dann dunkel ward, haben wir beschlossen gehabt, ein weiteres Stück mit der Bahn zu fahren.
Und zwar von Halle nach Leuven.
Der Bahnhof in Halle war bereits fertig betoniert und ich hab dann doch noch ein sehr schmeichelndes Lichtbild geknipst:

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Halle, Bahnhof

Etwas ermattet sank ich auf den Sitzplatz der Bahn und hielt die diversen Fahrkarten, die ja auch noch handschriftlich für die Räder personalisiert werden mussten und lauschte der Stimme aus dem Off, welche die Haltepunkte ansagte.
Auf niederl..äh...holländisch. In Brüssel dann zusätzlich mit französischer Zunge. Nach Brüssel wieder nur, na, das kann der geneigte Leser sich nun sicher selber denken.

Ich zuckte nur kurz mit einem Schmunzeln, als der folgende Haltepunkt angekündigt wurde:

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Erps-Kwerps

In Leuven quartierten wir uns rasch in ein Hotel ein. Unsere Frage nach einer Möglichkeit, die Räder zu parken, beantwortete die Rezeptionistin mit dem Hinweis auf das

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Parkhaus (für Räder).
Wir sollten aber nur ja unsere Räder fein ordentlich abschließen, denn sonst würde eine Spitzbübin kommen und die einfach so mitnehmen – ein Skandal!


wordt vervolgd...



Donnerstag, 15. Mai 2014
Zodra het bier kookt, giet je het in de stoofpot.
[2008]

Davor war aber erst die Ankunft in Brügge zu meistern. Und dann, endlich, endlich waren wir dort,

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mitten in der Nacht, in Brügge!

Was wir bei der netten Gastfamilie erlebten, liest der geneigte Leser beim kreuzbuben.
Inklusive der 500g Fritten mit 400g Gulasch in Malzbiersoße...
Dann haben wir im Waschbecken unsere Klamotten gewaschen – natürlich nacheinander.
Dann Heia gemacht. Und wir waren gar nicht tot!

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Der nächste Tag ließe sich Rennradmäßig in drei harten Fakten zusammenfassen:

Gefahrene Kilometer: 0
Getretene Wattzahl: 0
Höhenmeter: Leck mich doch die Söck´ mit Deinen Höhenmetern!

Ich hatte an diesem Tag nämlich eine Mission!

Weil der kreuzbube ja diesen Schnupfen hatte und es ihm nach Snoepjes mit Mentholanteil gelüstete.
Und danach haben wir uns ganz gemütlich im Schutz der anonymen Menschenmassen in der Stadt getummelt.

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Brügge besticht durch hübsche Reenactment-Architektur

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und geduldiges Schlangestehen.

Da ist der Belgier noch besser drin, als der Engländer.
Mir ist da ja mal in grauer Vorzeit im Rathaus von St. Gilles in Bruxelles was passiert:
Ich musste da mal hin. Und auf den Fluren ertönte Mozart als deeskalierendes Hintergrundgeräusch.
Warteschleifenmusik, möchte man meinen. Und da war dann so eine lange Bank gewesen. Nicht nur zum Ausruhen, sondern auch zum Warten, bis man an der Reihe ist.
Ich setze mich für gewöhnlich nicht direkt neben einen anderen Wartenden. Kennt der geneigte Leser vielleicht in ähnlicher Form von öffentlichen Toiletten.
Tja, und da saß ich nun. Auf der langen Bank.
Die Tür des Amtmannes ging auf und der links von mir sitzende Mensch stand auf und betrat das Bureau.
Dann geschah erstmal nix...
Dann stand der rechts von mir sitzende Wartende auf, querte meinen starr auf die Wand gerichteten Blick und setzte sich links von mir auf den vorhin freigewordenen und noch warmen Sitzplatz des sich mittlerweile im Bureau befindlichen ehedem Wartenden zu meiner Linken.
So ging das ungefähr dreimal, bis ich das überhaupt erst geschnallt hatte, daß ich eigentlich hätte aufrutschen müssen.
Die anderen Wartenden dachten nun bestimmt, ich hätte einen Akt des zivilen Ungehorsams durchgeführt... weia.

Dann hab ich mir den Rest des Tages das jüngste Gericht von Hieronimonimus Borschtsch (oder so)
angeguckt. Da hatten wir dann ja nicht nur den Westen, sondern auch den Tod – prima!
Das Bild war wirklich gut gemacht und ich musste nur zwei Stellen mit Kugelschreiber nachbessern.

Dann wurde es dunkel, und dann muss ich ja eigentlich immer zu Hause sein.

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Allerdings nicht, ohne zuvor noch einen ordentlichen Schlag Fritten mit Gulasch in Malzbiertunke zu verzehren.

Zu unserem Unglück war die Speise bereits ausverkauft! Ein Skandal!
Wir nahmen dann Filet-o-Fisch mit, natürlich, Fritten. Dazu wählte ich noch Piccalilly-Soße.
Da kann der geneigte Leser sich aber selber schlau machen, was diese Piccalilly-Soße ist. Im Internet, oder so.
Naja, jedenfalls war das Frittenbett noch umfangreicher als bei der Gulaschtunke.
Geschätzte 700g Fritten!
Tjonge!
Mit solch gefülltem und über Gebühr gedehnten Magen haben wir dann den Heimweg

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auf allen Vieren angetreten.

Und das war ein großes Glück, denn aufrecht gehend, wäre uns bestimmt dieses

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Loch im Gehweg entgangen!

Das kannte ich so nur von der Eat-Pray-Love-Insel in Ostindien.
Ich hab da extra mal ein Lichtbild für Sie herausgesucht:

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Loch

Ausmalend, wie man noch auf die Schnelle eine Unfallversicherung abschließen könnte, um dann dann in den Schacht zu plumpsen um die Reisekasse aufzubessern, verliefen wir uns ein wenig

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in Brügge.

Wir krochen dann zurück zum

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Belfried.

Doch von dort aus war der Rückweg ein Leichtes und wir erreichten dann doch wohlbehalten unsere

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Herberge.


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Ich hatte dann aber, als ich bereits in der Heia lag, furchtbare Halluzinationen! Und Bauchweh auch. War bestimmt eine schlecht gewesen, von den 700g Fritten...


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Buh!

wordt vervolgd...



Dienstag, 13. Mai 2014
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[2007]
Pak de Velo

Nachdem wir uns in aller Herrgottsfrühe fröhlich aus den Kunststoffsitzschalen des Zweitliga-Stadions geschält hatten,
genehmigten wir uns zunächst mal ein ausgiebiges Frühstück.
Das ist in Belgien eine ganz besondere Mahlzeit.
Es gibt nämlich nichts Süßes – was man nicht NOCH süßer machen könnte. Schmalzgebackene Spezialitäten aus süßem Hefe- und/oder Blätterteig. Mit und ohne Rosinen. Obligatorisch: Marzipanfüllung. Dazu dann Apfel-Birnen-Dattel-Sirup, wahlweise Marmelade. „Carboloading“, quasi.

Im Frühstücksraum befanden sich übrigens lauter Menschen in Radfahrerbekleidung.
Meine Vermutung war ja zunächst, daß dies synonym zu den englischen Fußballtrikots sei. Der Engländer trägt ja nix anderes. Auch unten rum nicht. Denn wir wissen ja alle, daß es ein Naturbedürfnis des Engländers ist, der Sonne seinen blanken Hintern entgegenzustrecken...
Aber die Belgier, die waren tatsächlich so angezogen, weil sie mit dem Rad fahren wollten.

Wir wollten dann auch fahren. Um den Zeitplan so einigermaßen einzuhalten, sind wir in die Eisenbahn eingestiegen. Da! Ein Pfiff!
Auch in Belgien hat nämlich alles seine Ordnung! Da kann man nicht einfach so, mir nichts, dir nichts, mit dem Rad in einen Waggon klettern! Neeeeeeee, nee, nee, nee!

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Wir wurden vom Schaffner höflich gebeten, das Fahrradabteil zu nutzen. Wir bräuchten uns aber nicht zu beeilen, der Zug würde warten. Dann hat uns der freundliche Schaffner noch erklärt, wie man die Räder befestigt, damit sie nicht umkippen. Ach, sowas, der Befestigungsgurt war defekt?
Mit einer beiläufigen Handbewegung deutete der Schaffner an, daß es nichts ausmache, man könnte das Rad ja auch schräg an die Waggonwand lehnen. Dann klappte er mir noch einen Klappsitz herunter und bot mir einen Sitzplatz an...
Das bin ich von der Bahn SO nicht gewohnt!!!
Der geneigte Leser kann sich meine Verwirrung bestimmt vorstellen.

Der Zug, kurioserweise und laut einer angebrachten Plakette, das Eigentum einer Stuttgarter Mobiliengesellschaft, schwebte dann gen Leuven. Und bevor wir es uns in den schweren Fauteuils gemütlich machen konnten, waren wir auch schon da!
Flugs aufs Rad, quer durch den Bahnhof, über die

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Hauptstraße ins Zentrum,

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das berühmte Denkmal "Männeken Pils" angeguckt und weiter, zum Beginenhof.

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Beginenhof, das ist der Ort, wo Jan Delay seine ersten musikalischen Meriten verdiente.
Das ich das mal sehen würde, fand ich hammerhart.

Aber genug vom Backstein – hinein ins nuancierte Grün!
Nicht, ohne zuvor einen neuen Schlauch in mein Hinterrad einzupopeln. Der alte, vom Vortag, war nämlich kaputt.

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Grün

Ja, und dann hab ich erstmal keine Fotos mehr gemacht....

Ich sag mal so:
Im Grün, ne, da sind wir, der kreuzbube und ich, ganz gut durchgekommen. Schotter, Wurzelwerk, Kopfsteinpflaster, Schlaglöcher (tief wie Granattrichter) – alles kein Problem.
Dann, auf einer Passage mit Split, ertönte wieder dieses ulkige „Flapp-flapp-flapp“, nee, eigentlich tönte es nun „vlap-vlap-vlap“ vom Hinterrad. Vielleicht erinnert sich der geneigte Leser.
Blind vor Wut, im rasenden gerechten Zorn, riss ich einige Setzlinge aus dem Waldboden!
Weil meine Hände und Lippen vor Ärger bebten, half mir abermals der kreuzbube beim Schlauchtausch. So langsam gingen ja auch die Vorräte an Schläuchen zur Neige und dann hatte, zu allem Überfluss, auch noch das Ventil eine Macke, sodaß ich dann mit gefühlten 1,5 bar Luftdruck die Fahrt (die Fahrt, wohlgemerkt! Das war ja längst keine Reise mehr!) fortsetzen konnte.
Mit Unbehagen, denn wir wussten nun, das der Mantel eines renommierten Markenherstellers einen hübschen Schnitt aufwies. Da hätte eine Distel genügt, um die Fahrt zu beenden, sag ich mal.

Zum Glück kamen dann erstmal keine Disteln, sondern die hübschen Produkte aus Visé zum Zuge.
Betonplatten. Schön durchnummeriert (manchmal waren aber auch Zahlen vertauscht – hihihi), bildeten sie den Straßenbelag im ländlichen Raum.
Und die Fahrt ging auch erstaunlich gut voran...
Endlich hatte der doofe Gegenwind klein beigegeben...

Nach geraumer Zeit, kurz bevor einer von uns beiden ausrufen konnte: „Kommt mir bekannt vor“,
haben wir es dann gemerkt... der Gegenwind war Rückenwind geworden...weil wir in die falsche Richtung ja einen Rundkurs um Leuven machen wollten und das auch getan haben.
Jawoll!
Zufrieden ob unserer Leistung sind wir dann

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zurück in die Beginen.

Dort hab ich in einem Fahrradladen im Vorübergehen noch einen Vollgummireifen besorgt. Und das Schlauchlager aufgekauft – was man hat, das hat man.
Bei einem Brodje Frikandel beschlossen wir, den Reifen alsbald zu wechseln.
Nach dem Brodje Frikandel hatten wir dazu keine Lust mehr.
Wir hatten auch zum Radfahren plötzlich keine Lust mehr, weil da ja jetzt ein schöner Ziegelstein im Bauch lag. Der wollte erstmal verdaut werden. Im Sitzen. In der Bahn.
Und so sind wir dann zum nächsten Zug. Der war seeeeehr lang. Und wir hatten ja die Transferleistung erbracht, daß Fahrräder gefälligst im Fahrradwaggon zu transportieren seien.
Da sind wir als Deutsche nun mal sehr eifrig, was das Befolgen von Vorschriften betrifft.
Aber ach! Da war gar kein Fahrradwaggon... Am Ende des Zuges erspähten wir den Schaffner. Da sind wir dann hin. Recht zügig, trotz des Ziegelsteins.
Der Schaffner, lässig an den Zug gelehnt, mit einer Zigarette in der Hand (trotz Nichtraucherbereich!) beantwortete meinen fragenden Blick mit der Frage, wo wir denn hin wollten. „Naar Chent“, sagte ich. Der Schaffner nickte und wir durften unsere Räder in den hintersten Waggon einladen. Was wir nicht wussten: Es war das Schaffner-Abteil. Der Sozialraum, quasi.
Tief beeindruckt von soviel Gastfreundlichkeit setzten wir uns und ließen den Ziegelstein seine Wirkung tun.
In Gent hat uns dann der Schaffner freundlich geweckt.

Auf dem Fahrradparkplatz haben wir mein Gepäck neu gepackt.
Der noch nicht montierte Vollgummireifen musste schließlich noch tourentauglich an den Rucksack klamüsert werden.

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La troisième roue de mon vélo

Von Gent hatten wir natürlich kein Kartenmaterial mitgeführt und trotzdem hatte es nur 45 Minuten gedauert, bis wir den richtigen Fahrradweg gefunden hatten.

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Und in den Sonnenuntergang hinein, mit einem Lied auf den Lippen, (das man aber nicht hören konnte, weil ja nun der doofe Gegenwind wieder unser Gast war und so weiter und so fort) velozipierten wir gen Westen! Oder den Tod!

wordt vervolgd...



Samstag, 10. Mai 2014
Visé ma tenten und Kipbillen met appelmoes (en mayonnaise)
[2006]
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Von nun an gings bergab...
Quatsch! Bergauf! Bergauf ging es! Und wie!
Aachen, das ist recht hügelig. Das hängt mit der Topographie zusammen. In Aachen, da fährt man eigentlich immer irgendeinen Hügel hinauf. Nicht schlimm, aber dafür stetig. Und der Gegenwind, der war ja auch noch da. Immerhin lockten vielversprechende Schilder mit dem Hinweis, daß bald mal die Niederl... äh, also, Holland, kommen müsste.
Wir wählten für unsere Weiterfahrt gen Maastricht die gute alte Bundesstraße 1.
Das ist nämlich die älteste und längste Straße der mir bekannten Welt, wenn nicht gar Deutschlands gewesen. Die geht nämlich bis kurz vor Moskau. Und damit meine ich nicht den Großraum Berlin!
Der Holländer hat sich die deutsche Technik dann irgendwann mal zu Nutzen gemacht und einfach, so ganz ohne Beachtung jeglicher Urheberrechte, seine Nationalstraße 278 an die gute alte B1 angebaut. Verlängert, quasi.
Das war für uns dann ganz schön praktisch gewesen. Und weil die Niederl... äh, also, Holland ja topfeben ist, hatten wir uns schon auf ein gemütliches Weiterkommen gefreut.
Ja, denkste!

Aber erstmal ein herzliches Willkommen im Land von Simone

Was dem Deutschen der Peter, das ist dem Niederländer die Simone (die oben verlinkte Band hat mal freien Eintritt für Mädchen mit dem Vornamen Simone eingeführt. Nach den ersten Konzerten wurde es auf die ersten zehn Simone begrenzt. Wister bescheid...).

Gleich ab Vaals (Vogel-V) gings weiter mit der Steigerei. Und um es den Radfahrern mal so richtig zu zeigen, haben die doch tatsächlich nach jeweils 100 Metern so kleine Schilderkes aufgestellt, auf denen vermerkt war, daß man gerade genau 100 Meter zurückgelegt hatte. Das geht ungefähr 23 Kilometer so. Da muss man die Nerven behalten!
Aber was für Radwege! Der Wahnsinn! 20 Meter breit auf jeder Spur. Sogar an den Hauptverkehrsadern! Da sollte der Deutsche mal ruhig Fünfe gerade sein und den Urheberrechtsschutz Urheberrechtsschutz sein lassen und das mal einfach kopieren.
Man sollte da mal einen Antrag... (wir wissen natürlich alle, daß daraus nix werden kann. Das hängt mit den Strukturen der öffentlichen Hand zusammen – kannste nix machen.) Vielleicht würde es aber auch schon genügen, die vorhandenen Radwege zu sanieren!!! Also, Brennessel wegmachen und Wurzelblasen fräsen. Aber damit kann man ja bekanntlich keine Wahl gewinnen. Dann als Politiker lieber mit den Medien im Schlepptau ein Bändel mit der Schere unbeholfen durchschnippeln und eine neue Route eröffnen, die dann nach 2 Jahren mit Brennessel und Wurzelblasen... ach, egal.

Die Verkehrsverhältnisse in Holland waren recht belebt. Da gab es glückselig lächelnde Senioren, die mit ihrem elektrisch unterstützten Omafiets (Hollandrad) die Hügel stürmten. Es gab auch trainingsanzugbeschürzte Halbstarke auf Rädern mit der vorderen und hinteren Acht in den Felgen und, und, und. Und alle sind sie da hoch pedaliert. Ganz besonders in Erinnerung blieb mir ein vielleicht 12 Jahre altes Mädchen mit einem Rucksack im Schottenkaro-Desseng, daß auf ihrem Omafiets den Hügel erklomm. Sie nutzte dabei die volle Breite des Radweges, pendelnd von links nach rechts und umgekehrt. Respekt!
Naja, irgendwann war die Schneekoppe überwunden und es ging dann doch noch bergab. Hinein in die älteste Stadt der Niederlande:

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Maastricht

D´Artagnan hat sie übrigens nie (weder die Sadt noch das Foto) gesehen. Nur von aussen (die Stadt). Dann wurde er tot gemacht. Aber davon später mehr.
Wichtiger für mich:
Wenn in meiner Kindheit von Maastricht gesprochen wurde (also, eigentlich wurde von „Meschtresch“ gesprochen), dann wurden immer, wirklich immer, im gleichen Atemzug „Bonnefanten“ erwähnt. Menschen, die sich gegenseitig anschauen, wohlwissend zunickend „Aaah, Bonnefanten!“ zurufend.
Ich hab ja immer gedacht, das wäre sowas wie der Telefant mit Michael Schanze, nur mit Bassie und Adriaan und auf nieder...holländisch, oder so. Oder Fabeltjeskrant.
Jedenfalls irgendwas mit bunten Elefanten.
Aber: Keine Zeit für große Erkundungen. Wir lagen ja weit hinter unserem Zeitplan zurück. Also nur kurz die Maas angeguckt und weiter.
Und rubbeldikatz waren wir dann auch schon in Belgien. Hätte man gar nicht gemerkt, weil, Grenzstationen gibbet ja gar keine mehr. Einzig der Straßenbelag verriet das ganz andere Land.
Und natürlich die Musik!

Bonjour Belgique!
Wir waren nämlich über die Wallonie ins Land eingetrudelt. In der Wallonie spricht man übrigens französisch (Merksatz).
Wir durchmaßen die Randgebiete des Städtchens Visé. Dieses Städtchen ist so bemerkenswert, weil es Eingang in den deutschen Sprachgebrauch gefunden hat.
Und das kam so:
Früher, da war Visé das Zentrum der Bautechnologie für Belgien. Man hat da Zelte gebaut. Weltmarktführer war man. Und das, obwohl die dort keinerlei Logistikzentren besaßen.
Darum mussten die Kunden sich die Zelte dort immer selbst abholen. Eine frühe Form des sogenannten „Outlet“, Fabrikverkauf, quasi.
Aber es gab auch keine Hinweisschilder, wo denn nun der Fabrikverkauf gewesen wäre.
Und darum riefen die Kunden am Stadttor immer: „Visé! Ma tent?“ (Visé! Wo ist mein Zelt?“)
Auch viele deutsche Kunden holten dort, nach einem beschwerlichen Weg, (zum Beispiel über die blöden Hügel von Vaals!) ihre Zelte ab. Und im Laufe der Jahrhunderte kam es dann zu einer Verballhornung im Deutschen: „Fissematenten“
So war das.
Heute ist Visé das Zentrum der belgischen Betonherstellung. Und Belgien braucht viel Beton!
Zum Beispiel für alle Nebenstraßen und Radwege.
Über diese Nebenstraßen und Radwege sind wir dann kreuz und quer durch die Gegend gegurkt.
Es gab auch viel Grün abseits der Wege, sogar in diversen Nuancen.
Wir hätten bestimmt auch das ein oder andere Mal gehalten, für zum gucken. Allein, es fehlte die Zeit.
So haben wir dann nur nach den Radwege-Hinweisschildern geguckt.
Und das, alle Achtung, haben die mal fein hingekriegt, in Belgien. Vielleicht kennt der geneigte Leser die deutsche Variante der Radwege-Hinweisschilder? So blasse, beige-graue Täfelchen in der Größe eines gefalteten Papiertaschentuches.
In Belgien, mein lieber Scholli, da sind die RIESIG! Und überall stehen Zahlen drauf, mit Richtungspfeil.
In Belgien, da hat nämlich jede Kreuzung, wo mindestens zwei Radwege aufeinandertreffen, eine Nummer. Und die ist auf den Schildern immer ausgewiesen. Toll! Braucht man nur noch eine Karte, wo die Lymphknoten aufgezeichnet sind – kannste Dich kaum noch verfahren.

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Knotenpunktschild

Und dann hatten wir die Sprachgrenze überfahren und waren mittenmang in der ältesten Stadt von Belgien:

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Tongeren, gegründet 1680

Tongeren ist berühmt für ein einzigartiges Bauwerk der Neogotik, welches es so kein zweites Mal auf der ganzen weiten Welt geben tut:

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Der schiefe Turm von Tongeren, erbaut von Lennard van Wintsje

Dort haben wir dann auch unser Abendbrot zu uns genommen.
Hähnchenschlegel mit Apfelmus und Fritten. Die dazu angebotene Mayonnaise haben wir ausgeschlagen.
Die Hähnchenknochen über die Schulter werfend sind wir dann weiter, wir wollten ja eigentlich noch nach Leuven.
Das haben wir dann aber nicht mehr geschafft. Es war ja schon dunkel und eigentlich muss ich dann immer zu Hause sein. Wir sind dann immerhin noch bei einsetzendem Regen in St. Truiden angekommen. Dort sind wir dann auf der Suche nach einer Übernachtungsmöglichkeit 5 Mal um die Kirche gekreist.

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Da war mir schon ganz schwindelig. Das erste Hotel, das wir fanden, war völlig dunkel. Das zweite war völlig überbucht. Der freundliche Portier gab uns aber den entscheidenden Tipp:
Fußballstadion.
Das hatte 11.337 Betten...

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wordt vervolgd...