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Freitag, 26. Februar 2016
„Ich hab ja auch noch so´n altes Campagnolo-Rad in der Garage stehen“
Der weißbärtige Hüne zog schmatzend an seiner Pfeife.
„Ach!“, sagte ich.
Und dann hatte ich ein Rad mehr...
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Also, nicht sofort.
Erstmal wollte ich genauer bescheid wissen. Bescheid wissen ist furchtbar wichtig, hier bei uns am Niederrhein. Nichtbescheidwisser haben nämlich einen ganz besonderen Namen. Man nennt sie „Strategen“. Wisster Bescheid!

Ich bin ja so´n Stratege, was Rennradkomponenten betrifft. Böhmische Dörfer sind das für unsereins. Da hab ich gedacht: Hör gut zu! Kannste noch was lernen.

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„Joah,“ hob der Hüne an, „das Rad hab ich vor 50 Jahren von ´nem Rennradfahrer gekriegt (erhalten, Anm. d. Autors). Das war schon was Besseres, damals. Der Fahrer hieß Mühlenfeld oder Mühlenfels, dat weiß ich nich mehr so genau. Jedenfalls war die Ausstattung Tip-top, da gibbet gar nix zu zu meckern!“

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„Der hatte sich das Rad bei Dornbusch in Duisburg maßschneidern lassen. Der Rahmen hat nämlich keine Rahmennummer, sondern da ist der Name vom Mühlenfeld (oder -fels) eingeschlagen.
Sauteuer muss dat gewesen sein.“

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„Und ´ne Hüreh-Schaltung! Hüreh! Dat war die beste, die man damals für Geld kriegen konnte!“

Meine Frage, warum eine Huret-Schaltung an einem „Campagnolo-Rad“ verbaut war, wo doch Campagnolo selber ganz passable Schaltwerke auch damals schon hergestellt hatte wurde mit der Wiederholung
„Hüreh! Dat war die beste, die man damals für Geld kriegen konnte!“
beantwortet. Punkt.

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Hip Hip Hüreh...
"Und wer will schon schalten!? Damals, da sind wir in einem Gang los gefahren und sind bis, bis... bis Amsterdam sind wir gefahren, ohne zu schalten! Diese neumodischen Schaltbremshebel haben die Leute alle total versaut!"

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Bevor der schmatzend rauchende Hüne ausfallend wurde, blieb ich lieber still, denn ich wollte ja was lernen, damit ich nicht für immer ein Stratege bleiben musste. Keiner mag Strategen. Darum.

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„Und die Weinmann-Bremsen! Ein Gedicht!“, führte der weißbärtige Stra... Hüne weiter aus.

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Ärgerlich wäre gewesen, dass ihm irgendwann mal einer die Campagnolo Aufkleber abgeknibbelt hätte. Ein Sportsfreund hätte ihm dann gesagt, er hätte noch welche, die könne er ihm drauf machen. „Dat war vielleicht ein Stratege! (Da! Das böse Wort!) Da hat der mir die völlig falschen Aufkleber...!!! Wat hab ich mich geärgert!“
Der weißbärtige Hüne zog etwas schneller schmatzend am Rotzkocher.

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„Und hier! Todschick mit den Hochflanschnaben, auch von Campagnolo!“

Jetzt wollte ich das Rad aber auch mal gesehen haben. Ich war nämlich sehr neugierig gewesen.
Auf das „Campagnolo-Rad“.

Recht bald nach dieser Aussage ging ich mit dem weißbärtigen Hünen, inkl. Pfeife in Richtung eines Verschlags, in dem sich nach Öffnen des Tores ein hübsches Sammelsurium offenbarte.
Ganz hinten stand ein Gebrauchtrad, hinter einigen planetengetriebenen Falträdern britischer Provenienz. Die fand ich aber doof.
Der Hüne erzählte, während er weiter schmatzend die Pfeife im Mundwinkel behielt, dass er das Rad schon ewig nicht mehr genutzt habe, weil er im Laufe der Jahre etwas an Gewicht zugelegt hätte und die Haltung auf so einem Rennrad sei ja nun auch nicht gerade die Bequemste und

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in den Körbchen der Pedale fühlte er sich auch nicht mehr so wohl, da sei es wohl immer weiter nach hinten in Richtung der rückwärtigen Garagenmauer gewandert. Von ganz alleine, quasi.


Jetzt hätte er sich gerade ein Rad mit Elektromotor gekauft. Das sei was ganz was Feines..
„Mh, mh.“ erwiderte ich interessiert, während ich die linke Augenbraue hob. Ich wollte doch das „Campagnolo-Rad“ sehen.

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Seit fast 50 Jahren hätte er nun dieses Rad. Damals, als 14-Jähriger, hätte er es bekommen.
„Oh, wie haste denn das damals finanziert? Das Taschengeld wird ja wohl kaum gereicht haben.“ merkte ich an.
„Neeeeeeee!“, schmauchte der Hüne. „Das bekam ich geschenkt! Vom Erstbesitzer!“

Der Erstbesitzer war nämlich mindestens eine regionale Größe im Radsport des Ruhrgebiets der 1950er Jahre.
Und er, der Hüne, hätte auch Talent gehabt, aber kein Geld für ein Rad und er hätte beim Mühlenfels (oder -feld) gebittelt und gebettelt, ob er nicht was für ihn zum Fahren hätte, wo er doch sooo gerne Rennrad fahren wolle.
„Und dann, da war ich bei dem im Wohnzimmer, da hatte der das Rad über der Couch an der Wand hängen, neben den ganzen Medalljen und Urkunden und Wimpeln. Da hat der das Rad von der Wand genommen und zu mir gesagt: „Hier! Aber nur in gute Hände! Und jetzt gib Ruh´!“

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Nachtrag:
Falls jemand Informationen zu besagtem Radsportler Mühlenfels (oder -feld) beisteuern kann, wäre ich sehr dankbar. Und überaus erfreut!



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"Am einunddreißigsten Tag"



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"Am dreißigsten Tag"