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„Ich hab ja auch noch so´n altes Campagnolo-Rad in der Garage stehen“
Der weißbärtige Hüne zog schmatzend an seiner Pfeife.
„Ach!“, sagte ich.
Und dann hatte ich ein Rad mehr...
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Also, nicht sofort.
Erstmal wollte ich genauer bescheid wissen. Bescheid wissen ist furchtbar wichtig, hier bei uns am Niederrhein. Nichtbescheidwisser haben nämlich einen ganz besonderen Namen. Man nennt sie „Strategen“. Wisster Bescheid!

Ich bin ja so´n Stratege, was Rennradkomponenten betrifft. Böhmische Dörfer sind das für unsereins. Da hab ich gedacht: Hör gut zu! Kannste noch was lernen.

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„Joah,“ hob der Hüne an, „das Rad hab ich vor 50 Jahren von ´nem Rennradfahrer gekriegt (erhalten, Anm. d. Autors). Das war schon was Besseres, damals. Der Fahrer hieß Mühlenfeld oder Mühlenfels, dat weiß ich nich mehr so genau. Jedenfalls war die Ausstattung Tip-top, da gibbet gar nix zu zu meckern!“

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„Der hatte sich das Rad bei Dornbusch in Duisburg maßschneidern lassen. Der Rahmen hat nämlich keine Rahmennummer, sondern da ist der Name vom Mühlenfeld (oder -fels) eingeschlagen.
Sauteuer muss dat gewesen sein.“

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„Und ´ne Hüreh-Schaltung! Hüreh! Dat war die beste, die man damals für Geld kriegen konnte!“

Meine Frage, warum eine Huret-Schaltung an einem „Campagnolo-Rad“ verbaut war, wo doch Campagnolo selber ganz passable Schaltwerke auch damals schon hergestellt hatte wurde mit der Wiederholung
„Hüreh! Dat war die beste, die man damals für Geld kriegen konnte!“
beantwortet. Punkt.

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Hip Hip Hüreh...
"Und wer will schon schalten!? Damals, da sind wir in einem Gang los gefahren und sind bis, bis... bis Amsterdam sind wir gefahren, ohne zu schalten! Diese neumodischen Schaltbremshebel haben die Leute alle total versaut!"

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Bevor der schmatzend rauchende Hüne ausfallend wurde, blieb ich lieber still, denn ich wollte ja was lernen, damit ich nicht für immer ein Stratege bleiben musste. Keiner mag Strategen. Darum.

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„Und die Weinmann-Bremsen! Ein Gedicht!“, führte der weißbärtige Stra... Hüne weiter aus.

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Ärgerlich wäre gewesen, dass ihm irgendwann mal einer die Campagnolo Aufkleber abgeknibbelt hätte. Ein Sportsfreund hätte ihm dann gesagt, er hätte noch welche, die könne er ihm drauf machen. „Dat war vielleicht ein Stratege! (Da! Das böse Wort!) Da hat der mir die völlig falschen Aufkleber...!!! Wat hab ich mich geärgert!“
Der weißbärtige Hüne zog etwas schneller schmatzend am Rotzkocher.

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„Und hier! Todschick mit den Hochflanschnaben, auch von Campagnolo!“

Jetzt wollte ich das Rad aber auch mal gesehen haben. Ich war nämlich sehr neugierig gewesen.
Auf das „Campagnolo-Rad“.

Recht bald nach dieser Aussage ging ich mit dem weißbärtigen Hünen, inkl. Pfeife in Richtung eines Verschlags, in dem sich nach Öffnen des Tores ein hübsches Sammelsurium offenbarte.
Ganz hinten stand ein Gebrauchtrad, hinter einigen planetengetriebenen Falträdern britischer Provenienz. Die fand ich aber doof.
Der Hüne erzählte, während er weiter schmatzend die Pfeife im Mundwinkel behielt, dass er das Rad schon ewig nicht mehr genutzt habe, weil er im Laufe der Jahre etwas an Gewicht zugelegt hätte und die Haltung auf so einem Rennrad sei ja nun auch nicht gerade die Bequemste und

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in den Körbchen der Pedale fühlte er sich auch nicht mehr so wohl, da sei es wohl immer weiter nach hinten in Richtung der rückwärtigen Garagenmauer gewandert. Von ganz alleine, quasi.


Jetzt hätte er sich gerade ein Rad mit Elektromotor gekauft. Das sei was ganz was Feines..
„Mh, mh.“ erwiderte ich interessiert, während ich die linke Augenbraue hob. Ich wollte doch das „Campagnolo-Rad“ sehen.

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Seit fast 50 Jahren hätte er nun dieses Rad. Damals, als 14-Jähriger, hätte er es bekommen.
„Oh, wie haste denn das damals finanziert? Das Taschengeld wird ja wohl kaum gereicht haben.“ merkte ich an.
„Neeeeeeee!“, schmauchte der Hüne. „Das bekam ich geschenkt! Vom Erstbesitzer!“

Der Erstbesitzer war nämlich mindestens eine regionale Größe im Radsport des Ruhrgebiets der 1950er Jahre.
Und er, der Hüne, hätte auch Talent gehabt, aber kein Geld für ein Rad und er hätte beim Mühlenfels (oder -feld) gebittelt und gebettelt, ob er nicht was für ihn zum Fahren hätte, wo er doch sooo gerne Rennrad fahren wolle.
„Und dann, da war ich bei dem im Wohnzimmer, da hatte der das Rad über der Couch an der Wand hängen, neben den ganzen Medalljen und Urkunden und Wimpeln. Da hat der das Rad von der Wand genommen und zu mir gesagt: „Hier! Aber nur in gute Hände! Und jetzt gib Ruh´!“

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Nachtrag:
Falls jemand Informationen zu besagtem Radsportler Mühlenfels (oder -feld) beisteuern kann, wäre ich sehr dankbar. Und überaus erfreut!




Haha, allein für die Schwarte mit den abgeknibbelten Campagnolo-Aufklebern hat sich der Besichtigungstermin doch schon gelohnt. Und Üré-Schaltung, da geht ja nun wirklich nichts drüber, wie der wahre Kenner weiß. Hätte übrigens noch ein älteres Vorderrad in Silber übrig, die Hochflanschnabe passt ja so gar nicht zu schwarz eloxierter Felge. Nachdem ich das passende Hinterrad mit der exotischen Helicomatic-Nabe mangels Feststell-Ring eh schon als Speichen-Reservoir benutzt habe, würde ich Ihnen das Vorderrad bei Bedarf sine pecunia überlassen.

„Ach!“, sagte ich....

Das ist aber sehr freundlich von Ihnen! Ich bin mit der vorderen Mavic MA40 (aus den 1980er Jahren, hinten ist es eine Mavic Modul E, Mitte bis Ende der 1970er) zwar nicht unzufrieden, aber aus optischen Gründen... da haben Sie natürlich völlig recht. Und es ist ja auch immer gut, wenn man mal was im Haus hat ;o)

Zur Huret-Svelto: Diese Schaltung wurde wohl Anfang der 1960er Jahre auf den Markt gebracht und war damals recht beliebt. Man muss halt etwas Gefühl in den Fingern haben, weil sie stufenlos funktioniert.
Aber schalten muss man ja eigentlich gar nicht, bis nach Amsterdam, sag ich Ihnen...

Für die damaligen Verhältnisse war die Huret-Schaltung sicher nicht schlecht, aber bis zu der Sachs-Huret Eco, die ich dann an Sir Walter II (Modelljahr 1990) dran hatte, hat sich funktional keider nicht mehr viel verändert. Da hatten Suntour und der bekannte Angelzubehör-Hersteller mit den drei Farben im Logo in der Zwiscenzeit schon ganz gewaltige Fortschritte gemacht. Aber ich kriege eine Kettenschaltung auch ohne Rasterung noch bedient, das leichte Überschalten und nochmal bisschen Nachgeben beim Runterschalten ist immer noch in Fleisch und Blut.

Verhältnismäßigkeit, genau. Die Schaltung ist jünger als der Rahmen. Vielleicht war vorher (Achtung! Special interest!) eine Allvit verbaut. Das war vor 50 Jahren schon wie heute. "Wat? DU fährst noch die 2015er Super Record?! Du bis mir ja ´n Stratege!" Haha.
Ambitionierte Sportfahrer wollten halt immer schon das technisch Neueste haben, wenn das Portemonnaie es irgendwie hergab). Hobbysportler begnügten sich dann schon eher mit dem ollen Geraffel der Vorjahre.

Dem regelmäßigen Leser vom retrogrouch sagt Allvit natürlich was. ;-)

Recht herzlichen Dank für den Link! Kannte ich noch gar nicht.

Gerne. Die überaus informative Seite hatte mir der Kollege Crispinus empfohlen, als wir im Westerwald rumgurkten, und ich habe sie nach eingehendem Studium auch in meine Blogroll aufgenommen. Von da hatte ich auch die Inspiration her, das jpg mit meiner Mailadresse wie einen Reynolds-Rahmenaufkleber zu gestalten (wobei ich mich aus markenrechtlichen Gründen etwas weiter weg vom Original bewegt habe).

Ein schönes Rad. Dann sind Sie jetzt der mit der Mühle und die wird sich wohl anders fahren, als ein Rügenwalder.
Bei den Bremsen muss ich immer an dieses alte Lied denken.

Hehe... genau! Vor allem der Brooks Colt Sattel lässt jegliches Schmierwurstgefühl vermissen.
Die Bremsen reichen für einen Überschlag übrigens vollkommen aus. Und mehr will man ja auch gar nicht. Erst recht nicht, wenn man auch schon mal mit der guten alten Stempelbremse Erfahrungswerte sammelte. =)

Schick!

In der Tat!

Sehr Schick sogar!

Welcher Stratege hat denn da die Bremshebel montiert? Viel zu tief. Kantholz nehmen, unteres Ende des Hebels mit dem Unterlenkerrohr in eine Flucht bringen.
Von Campa dürften alleine die Ausfallenden sein. Das glauben viele, dass sie ein "Campagnolo"-Rad haben...
"Hobbysportler begnügten sich dann schon eher mit dem ollen Geraffelt..." lässt sich übrigens treffend mit den Worten eines ehemaligen Rennfahrers übersetzen: Das fahren heute die, die es früher nicht fahren mussten.

Ein interessanter Aspekt, mit den Bremsen.
Ich habe auf "Siegerfotos" der 50er und 60er Jahre im Raum Duisburg durchaus den ein oder anderen Bügellenker entdeckt, der etwas seltsam positioniert war.
Beim obigen Dornbusch war es auch so. Vielleicht war das für die Handgelenke erträglicher.
Und wenn der Jupp damit gewonnen hatte, konnte das dem Jürgen bestimmt auch zum Sieg verhelfen.
Ein Glück, daß kein Sportler mit ausgestellten Knien und der Ferse tretend die Tour de France gewann. Das hätte sonst womöglich Schule gemacht und die Souplesse auf den Kopf gestellt.
So wie beim Skispringen. Da hat man ja auch 1000 Jahre die Ski parallel in der Luft gehalten, bis ein Schwede kam und das "V" flog.

Das fährt heute der, der es sich früher gar nicht leisten konnte. Falls er überhaupt wusste, dass es das gab ;o)
Ich sehe es durchaus als historisches Dokument. Experimentelle Archäologie, wenn Sie so wollen.

Würde auch sagen, dieses Set-up mit den tiefergelegten Bremshebeln war nicht untypisch für damals™.

Wie gesagt, ich finde gut, dass es sich so durchgesetzt hat.
Ich werde das auch irgendwann mal ändern. Zunächst giltet es, dass Innenlager zu wechseln, denn das olle Stronglight... naja, die Kurbelarme stehen etwas schepp.
Ich habe übrigens zufällig noch 50 m Köperband in weiß und in schwarz. Wer seinen Lenker stilecht mit völlig dämpfungsfreiem Textil umwickeln möchte, darf sich gerne melden.

Irgendwann musst du dir mal ein Bonanzarad vornehmen, das wird lustich.

"Wieviele D´s sind in Bonanza?"

Ich bin damit mal in einem Werbespot unterwegs gewesen. Krasse Story!
Halbstarke klauen eine Discokugel.
Polizisten (einer davon war ich) nehmen die Verfolgung auf.
Hetzjagd auf Bonanzarädern.